Symposium "100 Jahre Neue Sachlichkeit. Musik – Literatur – Bildende Kunst – Film"
Flankierend zur Ausstellung und zum Jubiläum ist ein öffentliches und interdisziplinäres Symposion zum Thema „100 Jahre Neue Sachlichkeit. Musik – Literatur – Bildende Kunst – Film“ geplant, das vom 16. bis 18. Januar 2025 stattfindet. Das Symposion wird Konzepte der Neuen Sachlichkeit für die kunsthistorischen Wandlungen in Malerei und Graphik ebenso beleuchten wie Tendenzen in Musik, Literatur und Film. Die thematischen Schwerpunkte liegen insbesondere auf den unbekannteren Künstlerinnen und Künstlern der Neuen Sachlichkeit, den audiovisuellen Medien sowie der künstlerischen Rezeption der neuen Sachlichkeit in den 1930er und 40er Jahren. Referate halten u.a. Sabina Becker, Nils Grosch, Florian Illies, Maren Lickhardt, Claudia Öhlschläger, Anja Richter, Lynette Roth, Nicole Strohmann und Natan Sznaider
DONNERSTAG, 16. JANUAR 2025, KUNSTHALLE
Ticket für alle drei Vorträge am Donnerstag in der Kunsthalle 6 €
14.30-15.00 Uhr: Eintreffen & Anmeldung
15.00-15.30 Uhr: Begrüßung & Einführung
Johan Holten & Inge Herold, Panja Mücke & Thomas Wortmann
Sektion I
15.30-16.15 Uhr European Realities. Realismusbewegungen der 1920er und 1930er Jahre in Europa
Anja Richter, Chemnitz
16.15-17.00 Uhr Unschärferelation: Künstlerinnen und die Neue Sachlichkeit
Lynette Roth, Harvard
17.00-19.00 Uhr: Pause & Gelegenheit zum Ausstellungsbesuch bis 18 Uhr
Abendvortrag in der Kunsthalle Mannheim
19.00 Uhr »Die Neue Unsachlichkeit«
Nathan Sznaider, Tel-Aviv-Yaffo
zu den Vorträgen:
European Realities. Realismusbewegungen der 1920er und 1930er Jahre in Europa
Vortrag von Dr. Anja Richter, Leiterin der Kunstsammlungen Chemnitz – Museum Gunzenhauser
Nach dem Ersten Weltkrieg tauchen in Europa realistische Strömungen auf, die sich bis in die 1930er Jahre halten, als sich die politische Situation infolge der Etablierung totalitärer Regime verschärft. Die Kunst ist dabei Ausdruck der Zeitstimmung der 1920er und 1930er Jahre. Jedoch sind es nicht nur die bekannten Strömungen etwa in Deutschland, Italien und den Niederlande, die diese Zeit prägen, sondern auch Künstler:innen in nord-, mittel- und südosteuropäischen Ländern, die in ihren Werken den Zeitgeist der 1920er und 1930er Jahre eindrucksvoll einfangen. Der Vortrag präsentiert ihre Hauptprotagonist:innen, aber auch Werke von Künstler:innen, die nicht primär dieser Bewegung zuzuordnen sind, sich jedoch im Europa der Zwischenkriegszeit einer realistischen Malerei zuwandten.
Dr. Anja Richter wurde 1981 in Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) geboren. Studium der Kunstgeschichte, Afrikanistik und Ägyptologie an der Universität Leipzig. Arbeitsstationen im Haus der Kulturen der Welt, Berlin, Kunstsammlungen Chemnitz, Museum of Jewish Heritage New York. Seit 2014 Leiterin der Kunstsammlungen Chemnitz – Museum Gunzenhauser. Ausstellungen und Publikationen mit den Schwerpunkten in der Klassischen Moderne, Afrikarezeption in Europa und zeitgenössischen Kunst.
Unschärferelation: Künstlerinnen und die Neue Sachlichkeit.
Vortrag von Dr. Lynette Roth, Harvard Art Museums
Anlässlich unserer Sonderausstellung richtet Dr. Lynette Roth, Daimler Curator of the Busch-Reisinger Museum, den Fokus auf die Künstlerinnen der späten Weimarer Republik, die in der namensgebenden Ausstellung von 1925 zwar nicht vertreten waren aber heute mit dem Begriff der Neuen Sachlichkeit in enger Verbindung stehen. Anhand ausgewählter Werke erörtert Roth die Unschärfe des Hartlaub'schen Konzepts, eine Ambiguität, die sich bis in unsere Gegenwart erhalten hat.
Dr. Lynette Roth leitet das Busch-Reisinger Museum der Harvard Art Museums und dessen Sammlung. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Kunst aus dem deutschsprachigen Raum mit Publikationen und/oder Ausstellungen zur Weimarer Zeit (Kölner Progressive, Max Beckmann, August Sander), zur unmittelbaren Nachkriegszeit (Inventur-Kunst in Deutschland, 1943-55) und zur zeitgenössischen Kunst (Rebecca Horn, Wolfgang Tillmans). Zu den aktuellen Projekten gehören Ausstellungen zum Fotogramm und zu Fragen der deutschen Kunst und Identität nach 1980.
Die Neue Unsachlichkeit
Vortrag von Prof. em. Dr. Natan Sznaider, Akademische Hochschule Tel Aviv
Die Bundesrepublik feiert die zweite Auflage eines großen Kunstfestivals: die documenta II, die vom 11. Juli bis zum 11. Oktober 1959 in Kassel stattfand. In der eigenen Darstellung: Wo 1933 Hakenkreuze prangten, beherrscht nun das kleine „d“ auf Plakaten und Fahnen den Friedrichsplatz.
Die Schau widmet sich der abstrakten Kunst, es werden einige amerikanische Künstler eingeladen. Jackson Pollock zählt zu den Stars. Mit dieser Ausstellung werden Kassel und die Bundesrepublik zu einer globalen Bühne aufgewertet, die auch den Bruch mit der Nazi-Vergangenheit dokumentiert. Es ist eine Versöhnung mit sich selbst und mit der Welt. Abstrakte Kunst soll zu einer Weltsprache werden, die auch in Deutschland gesprochen wird. Sie wird gefeiert als Ausdruck von Offenheit, Liberalismus und Demokratie. Sie steht im Gegensatz zum Totalitarismus des Ostens. Die abstrakte Kunst wird zu einer anthropologischen Wahrheit erhoben. Zuständig dafür ist Werner Haftmann, der zurzeit in Hamburg als Dozent an der Hochschule für bildende Künste als Dozent arbeitet. 1912 geboren, tritt er schon 1933 in die SA ein, was 1959 noch nicht bekannt ist. Im Krieg beteiligt er sich aktiv an der Partisanenbekämpfung in Italien, 1937 tritt er in die NSDAP ein. Als Kunsthistoriker ist er für die künstlerische Leitung der documenta II 1959 zuständig und entwickelt die These der abstrakten Kunst als einer Art vorurteilsfreiem Akt des Erlebens. Dafür steht die Reinheit der Linien und Farben. Ob Betrachter das in der Tat so sehen, ist schwer zu beweisen. Es ist eine geschichtslose Form der Betrachtung ohne Text. Das ist das Anliegen des ehemaligen Nazis Werner Haftmann, oder wie er es selbst im Vorwort des Katalogs formuliert:
„Dort, wo die Freiheit sich durchsetzt, verschwinden die Trennungen zwischen Nationen und Systemen.“
Es war die Flucht nach vorne für die neue Bundesrepublik. Abstrakte Formen, das Sich-Hinwenden an die USA, der Kalte Krieg und der Kampf gegen den sozialistischen Realismus der DDR, all das fließt in die documenta II ein.
Diese abstrakte Kunst hat über die „Alt-Neue Sachlichkeit“ von jüdischen Autorinnen wie Mascha Kaléko und Gabriele Tergit gesiegt. Das abstrakte und formlose Bild triumphiert hochmütig über das Konkrete. Das wird noch deutlicher, wenn wir uns die das Schicksal des neu-sachlichen Malers Felix Nussbaum betrachten. Hier soll es auch um das hier in der Ausstellung gezeigte Bild: Selbstbildnis an der Staffelei von 1943 gehen. Mein Vortrag wird diesen Prozessen der Beziehung zwischen Abstraktion einerseits und Neusachlichkeit in der frühen Bundesrepublik nachgehen.
Prof. Dr. Natan Sznaider ist emeritierter Professor für Soziologie an der Akademischen Hochschule in Tel Aviv. Geboren in Mannheim, lebt und schreibt er in Tel Aviv. Zuletzt erschien von ihm Die jüdische Wunde im Hanser Verlag. 2024 erhielt er für sein literarisches Wirken für den Frieden in Israel und in der Welt den Friedenspreis der Geschwister Korn und Gerstenmann-Stiftung.
Bitte beachten Sie die unterschiedlichen Tagungsorte:
16. Januar – Kunsthalle Mannheim
17. Januar – SHMDK
18. Januar – Universität Mannheim
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N7, 18 – Raum 407
SCHLOSS, FUCHS-FESTSAAL