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Kunst im Schwebezustand | Kunsthalle Mannheim

Kunst im Schwebezustand

Kuratorin Anja Heitzer zum Werk von Tomas Kleiner

Der Künstler Tomas Kleiner hat für die Ausstellung "1,5 Grad. Verflechtungen von Leben, Kosmos, Technik" ein performatives Atelier eingerichtet, in dem er an drei Terminen artenübergreifende Flugübungen durchführt. Kuratorin Anja Heitzer hat sich intensiver mit seinem Werk beschäftigt.

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Abb.: Tomas Kleiner, Performatives Atelier, 2023; Installationsansicht Kunsthalle Mannheim; Foto: Elmar Witt

 

„Schweben zeigt sich im Hin und Her zwischen Welt und Ich, die doch beide nicht mehr verlässliche Orientierung bieten. Dieser Zustand des Schwebens ist ein allgemeines Zeichen der Zeit." (1) 

 

So schrieb der Philosoph Walter Schulz 1985 über den Zustand der Schwebe. Er beschreibt damit die Stellung des Menschen in der Welt, die geprägt ist von Unsicherheit und Rastlosigkeit. Diese Bestandsaufnahme scheint heute – 40 Jahre nach Veröffentlichung des Textes – noch genauso zutreffend wie damals. Neben politischen Unruhen stellt vor allem die Klimakrise eine nur schwer fassbare Herausforderung für die globale Gemeinschaft dar. Diese Mammutaufgabe kann schnell zu Resignation und Fatalismus führen. Wie die Ausstellung „1,5 Grad. Verflechtungen von Leben, Kosmos, Technik“ zeigt, entscheiden sich viele Künstler*innen aber dafür, zu handeln und sich aktiv mit dem Thema auseinanderzusetzen.


Schweben als Werkzeug der Kunst

Tomas Kleiner ist einer von ihnen und versucht dabei den oft negativ konnotierten Zustand der Schwebe für unsere Gegenwart wieder fruchtbar zu machen. Er macht das Schweben zum Werkzeug seiner Kunst und reagiert damit auf reale, ökologische Gefahren. Die zunehmende Mobilität des Menschen beschneidet den Lebensraum von Tieren und Pflanzen, die im Gegensatz zu uns eng mit ihrem Ökosystem verwurzelt sind. Um sie aus dieser Ohnmacht zu befreien, entwickelt Kleiner verschiedene – mehr oder weniger utopische – Strategien. Mit Hilfe von Heliumballons oder selbstgenähten Fallschirmen führt er artenübergreifende Flugübungen durch und entwickelt so neue Möglichkeiten der Fortbewegung für verschiedenste Lebensformen.


Flugobjekte mit Eigenleben

Die aus biologisch abbaubarer Maisstärke gefertigten Heliumballons verändern je nach Form und Größe der Ballons, Dosierung des Heliums oder Gewicht des befestigten Transportobjekts (z.B. Süßkartoffel oder Wasserlilie) ihr Flugverhalten. Vom Luftzug angetrieben gewinnen sie – im Rudel oder als Einzelgänger – ein Eigenleben. Sie bewegen sich mal schwerfällig und zögerlich, mal übermütig und abenteuerlustig durchs Museum. Neben der Beschäftigung mit den sogenannten Aeronauten arbeitet Kleiner aktuell an der Erprobung von Fallschirmen als Fortbewegungsmittel für Pflanzen. Die Flugobjekte erinnern an Quallen, die sich an langen Leinen befestigt aufblähen, hoch in die Lüfte steigen, um dann wieder in sich zusammenzusinken. Sie bauschen sich auf und scheinen den Wind zu atmen. Sie machen die Kraft der Luftströme sichtbar und wirken gleichsam federleicht und schwerelos. Wenn Kleiner seine monumentalen Medusen steigen lässt, verwandelt sich die Luft in Wasser und die Ökosysteme tauschen für kurze Zeit ihren Platz. Ihre Bewegungen sind ruhelos und doch beruhigend. Der Zustand der Schwebe erhält eine fast schon meditative Komponente, die das „Hin und Her zwischen Welt und Ich“ nicht fürchtet, sondern feiert. Dieser Modus verbindet ein Moment des Aufbruchs mit einem Moment des Innehaltens und der Reflexion.


Performatives Atelier in der Ausstellung

Dabei lädt Kleiner uns ein, den Zustand der Schwebe gemeinsam mit ihm zu erproben. Sein experimenteller Ansatz ist immer auch Ausgangspunkt für Dialog und Austausch. Im Rahmen der Ausstellung „1,5 Grad“ in der Kunsthalle Mannheim hat Tomas Kleiner sich ein performatives Atelier eingerichtet, in dem er über die Laufzeit der Ausstellung hinweg immer wieder arbeiten wird. Er wird dabei vor Ort – in den Ausstellungsräumen oder im Atrium der Kunsthalle – seine Flugübungen durchführen und seine Ausstellungspräsentation immer weiter verändern. Die Besucher*innen können Teil seiner Forschung werden. Sie sind eingeladen, über den Einfluss des Menschen auf seine Umwelt nachzudenken und sich von Kleiners utopischen Experimenten beflügeln zu lassen.

Tomas Kleiner wird an folgenden Tagen in seinem Atelier in der Kunsthalle arbeiten:

Residency 1: 2. bis 7. Mai

Residency 2: 27. Juni bis 2. Juli

Residency 3: 5. bis 10. September

 

Fußnote


(1) Walter Schulz: Metaphysik des Schwebens. Untersuchungen zur Geschichte der Ästhetik, Pfullingen 1985, S. 13.